Schwarzweiß.

Ein Gedanke, den ich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder hatte, hat sich während einer Tattoo-Session gestern (Details vielleicht irgendwann, oder vielleicht auch nicht), soweit  manifestiert, dass er “verblogbar” ist.

Menschen denken gerne in schwarz-weiß. Entweder ist etwas gut, oder es ist böse. Dazwischen ist schwierig, kompliziert, anstrengend. Das sieht man natürlich besonders gut an politischen Debatten, die gerade jetzt (hallo Mister Trump) besonders hart geführt werden. Ebenso natürlich ist nichts daran neu. Gab es schon oft, vielleicht schon immer?! Doch meine Herangehensweise an das Thema “Schwarzweißdenken” kommt aus einer anderen Richtung.

Ich lerne, bedingt durch den Umzug, noch immer sehr viele Menschen neu kennen, deren Rolle in meinem Leben völlig offen ist, sie sind neu und ich bin für sie neu. Sehr viel mehr als erwartet öffnen sich diese neuen Bekanntschaften mir bzw. uns, und manchmal kommt dann eben auch etwas zum Vorschein, mit dem man zumindest nicht gerechnet hat. Vielleicht war es überraschend, vielleicht positiv, manchmal auch “negativ”. Gleichzeitig hat natürlich auch meine Situation – Beziehungsende, “schnelle” neue Beziehung, gemeinsamer Umzug in die USA, Heirat – sicherlich auch bei Manchen zu erhobenen Augenbrauen geführt. Zumindest vermute ich das bei wenigen, entfernteren Bekannten. Familie und Freunde waren da wider Erwarten unfassbar offen und voll hinter mir und meiner Frau.

Jedenfalls brachte mich beides nun in den letzten Wochen oder auch Monaten dazu, über meine eigene Sichtweise auf andere Menschen und ihre unerwarteten Eigenschaften, Meinungen, Gedanken, Gefühle und Lebensentwürfe nachzudenken. Ich denke, dass ich früher radikaler gedacht habe, absoluter und oft in schwarz-weiß. Person X hat Y getan, oder Z gedacht, deshalb mag ich sie nicht, oder finde sie doof, oder bin verschlossen, oder mache mich vielleicht doch auch mal lustig. Ich denke von mir, dass ich schon länger, über mehrere Jahre, ein eher gutmütiger, diplomatischer Mensch bin und zusammen mit meiner Empathie –  einmal Empath, immer Empath – oft Verständnis hatte für Menschen und ihre von mir unterschiedlichen Meinungen, Gedanken, Gefühle und Lebensentwürfe. Im Geheimen habe ich dann aber doch geurteilt, verurteilt, belustigt oder ignoriert. Ich denke, dass das falsch war und ed hat vor 3-4 Jahren in Deutschland angefangen, dass ich dieses Verhalten an mir so nicht mehr wollte und deshalb versucht habe zu ändern. Hoffentlich erfolgreich. Durch den Umzug und die Notwendigkeit, offen für Neues zu sein, hat sich das noch verstärkt. “Wer bin ich, dass ich mich über Person X stelle?!” ist da so ein zentraler Gedanke. Ein anderer ist, dass ich fast automatisch annehme, dass alles, was ich von einem Menschen erfahre, nur die Spitze des Eisbergs sein kann.

Gleichzeitig musste ich kürzlich erkennen, dass es Verhaltensweisen gibt, die mich da dennoch an meine Grenze bringen. Zu Recht wie ich finde musste ich mich von einem Menschen distanzieren, denn alles muss man nun wirklich nicht tolerieren. Dennoch konnte ich es in der Situation und den darauf folgenden Tagen nicht dabei belassen. Ich konnte oder wollte nicht von einem großen Eisberg unter der Oberfläche des beschissenen Verhaltens ausgehen, sondern fällte mein Urteil. Mit der Distanzierung bin ich im Reinen, mit der Verurteilung von Person X nicht so ganz, denn wer weiß, was unter Wasser vor sich geht…

Falls ihr dazu Gedanken habt, immer her damit.