“Komm, wir spielen Gott!” oder wie ich für mein Essen tötete.

(Ein sehr langer Text, als Erinnerung für mich, und für den Fall, dass doch wer neugierig ist)

<UPDATE>Eine Lokalzeitung, der Yakima Herald, hat mich für einen kurzen Artikel interviewt und mittlerweile ist der kurze Bericht mit 2 Zitaten von mir online. </UPDATE>

Wiesu denn blus?

Vor einigen Jahren, ich meine so 2009 oder 2010, begann ich mich mit dem, was ich so esse zu beschäftigen. Ich kaufte so viel “Bio” wie ich mir eben leisten konnte und 2011 oder 2012 hörte ich dann auf Fleisch zu essen. Ich aß ab und an noch Fisch, aber ich wollte mich an dem für mich unwürdigen Umgang mit Tieren nicht beteiligen. Ich mochte den Geschmack von Fleisch dennoch sehr und bin 1–2x im Jahr dann zu Feiertagen zu meinem örtlichen Bioladen gestiefelt und habe dort Fleisch von einem Metzger, der seine wilden Rinder erjagt (kein Witz), gekauft. Alles andere, also Gemüse, Milchprodukte, usw. gab es so sehr bio

Die Dungeness Crab und ich.

wie möglich in meiner wöchentlichen Demeter/Bioland/Bio-Kiste. Manches dann aus finanziellen Gründen halt doch nur in “supermarktbio”. Ich dachte darüber nach, den Angelschein zu machen (was in Baden-Württemberg nicht ganz einfach ist, ) und habe mich informiert, was mensch den so tun muss, um in Deutschland jagen zu können: es ist nicht einfach, nicht gerade billig und letztendlich habe ich das dann nicht weiter verfolgt.

16 Fische in einer Metallbox.

Schon damals fand ich mich sehr inkonsequent und irgendwann, im Sommer 2015, hab ich dann wieder angefangen regelmäßiger Fleisch zu essen. Losgelassen hat mich das Thema nie. Mehr oder minder konsequent versuche ich, bewusst zu konsumieren, besonders beim Fleisch. Ich finde den Gedanken, mir meinen Fleischkonsum zu erarbeiten – das auf Milchprodukte und Gemüse auszudehnen verbaut mir meine kapitalistische Faulheit –, also mir meinen Braten oder meine Wurst zu erjagen – ziemlich gut. Ich habe dann irgendwann – fastforward zu dem Umzug in die USA – wieder mehr über das Jagen, nachgedacht. Hier im pazifischen Nordwesten hat praktisch jede_r, die_der hier aufgewachsen ist, schon nach Krabben gefischt, geangelt, nach wilden Austern und Muscheln gesucht. Mich fasziniert das.
Und so kam dann eines zum anderen, ich wollte sowas auch gerne tun. Um zu sehen, ob ich das überhaupt kann, um zu sehen, ob ich mir mit Gewalt zu einem Sonntagsessen verhelfen kann. Als ich dann im Juni mit meinem Schwiegervater das erste Mal Hochseeangeln war, war das auch wieder ein Schubser in diese Richtung.

Filets von insgesamt 16 Fischen.

Der Weg auf’s Schlachtfeld

Nach dem Hochseeangeln – wir haben zu zweit insgesamt 14 Barsche und 2 Lengdorsche erlegt und bekamen noch 5 Dungenoness Crabs (große, pazifische Taschenkrebse) – beschäftigte ich mich mit dem Thema “Töten für Essen” wieder mehr. Ich lernte Menschen kennen, die seit ihrer Kindheit jagen. Corinna und ich machten einen Anfängerkurs für das Schießen mit Schrotflinten, redeten mit Menschen, die ganz über Waffen reden, als wäre es etwas Alltägliches (ein Thema, dass ich hier nur anreisse und über das ich seitenweise schreiben könnte).
Jedenfalls: ich wollte so wirklich gerne jagen gehen. Dazu muss man hier einen Jagdschein machen, was mit einem Onlinekurs und einem Tag voller Wiederholungen, praktischer und theoretischer Prüfung durch ein Team des “Department of Fish and Wildlife” ziemlich fix ging. Wir haben jeweils vielleicht 14 Stunden und 10$ investiert. In dem Kurs geht es übrigens sehr viel um Waffen und die rechtlichen Aspekte des Jagens. Wirklich gezeigt, wie man das tut, bekommt man nicht.

Ich las viel über Jagen und was man so jagen kann und entschied mich, mich mit der Jagd von Vögeln zu beschäftigen; lernen was man so braucht, und wie und wo man das theoretisch so kann.
Zwischendurch kauften wir uns Lizenzen für’s “Crabbing” und Freunde zeigten uns, wie man Dungeness Crabs ganz leicht selbst fängt. Da wird man mit dem Töten gleich wieder konfrontiert: legt man die lebendigen Krabben auf Eis, was sie betäubt, wirft sie betäubt so ins Wasser und nimmt sie dann aus; lässt man das Eis weg

Ich beim Krabben

und wirft sie zappelnd in’s Wasser; oder reißt man ihnen einfach gleich nach dem Fang den Panzer direkt so auf?! Wir haben uns für die Methode mit “Betäubung” entschieden. Dennoch ziemlich martialisch das alles. Ich habe da jedoch kein Problem damit. Ich rede mich mit der Betäubung sozusagen raus.

So, Fische und Krebse kann ich also töten und essen. Und nun?!
Zwar könnte ich mir mit etwas Warten und einem gewissen Prozess (der etwa 2 Monate dauert und für die Herbstjagdsaison zu lange dauern würde) einfach ein Gewehr kaufen und dann in den Wald rennen, aber ohne Ahnung ist das eher weniger sinnvoll. Stellt euch Szenarien in meinem Kopf vor, bei denen ich mich im Wald verlaufe, Bären oder einem Puma begegne, die mich dann angreifen, oder wie ich mich mit der Waffe verletze (da kann man sich bös die Finger abquetschen!) und so weiter. Weiter als “irgendwie werd ich vielleicht Menschen finden, die mich mitnehmen” kam ich nicht wirklich.
Über meine Recherche online lernte ich dann allerdings doch etwas Praktikables: das “Department of Fish and Wildlife” bietet sowohl Jagdkurse (Theorie mit Praxisteil, aber ohne eigentliche Jagd), als auch ein Programm für sogenannte “mentored hunts” hat, bei dem erfahrene Jäger die “Frischlinge” zum Jagen mitnehmen. Ich entschied mich für die Jagd auf wilde Truthähne (bis vor nem halben Jahr wusste ich nicht mal, dass es die hier gibt!), schrieb eine E-Mail und ein Angestellter der Behörde kontaktierte mich. Nach 2–3 Wochen kamen dann immer mal wieder Mails mit Terminen, zu denen Menschen jemanden mitnehmen würden. Und vergangene Woche war ich dann dran. Chris, einer der freiwilligen Jäger, schrieb mir eine Mail, wir schrieben hin und her und das war schon mal recht nett.
Ich organisierte für mich und Corinna ein Hotelzimmer – Cori ging zwar nicht mit Jagen, aber sie wollte gerne in Ostwashington dabei sein – und so fuhren wir dann am Freitag Abend etwas über 500km nach Spokane. Durch einen Arbeitsnotfall und Corinnas Malkurs konnten wir erst gegen halb 7 abends losfahren, und kamen dann gegen Mitternacht im Hotel an. Phew. Um halb 5 würde der Wecker klingeln, also ab ins Bett. Ich schlief genau…gar nicht. Ich war schrecklich aufgeregt. Ich meine für vielleicht eine Stunde gedöst zu haben, ansonsten drehten sich meine Gedanken um das, was so kommen würde. Den mir unbekannten Menschen, den ich treffen würde. Die Sache mit dem Gewehr. Ob ich wohl einen Truthahn erlegen würde? Wie das wohl wäre? Was, wenn mir beim Ausnehmen schlecht würde? Was, wenn,…

Alle Farben

Ich stehe vor dem Weckerklingeln um 4:25 auf. Einen Rucksack mit meinem Erste Hilfe Kram, Wechselklamotten, Fernglas, Messer, Proviant (Corinna bestand darauf mir die Brote zu schmieren <3), Ohrstöpsel,… hatte ich nachts noch hingerichtet. Und um kurz vor 5 bin ich dann in meinen Wanderklamotten im Dunkeln vor dem Hotel und warte auf einen mir unbekannten Mann, der in einem roten Pick-up – natürlich, ’merica! – kommen wurde. Kurz denke ich ja schon an irgendwelche Folgen von “Murder Porn” (so nennen wir hier die TV-Serie “Autopsie”, in der es um die forensische Aufklärung von Mordfällen geht), bei denen ein gestörter Typ unbedarfte Neujäger in den Wald entführt und … denkt euch den Rest.

Schwarz

Schon biegt der Pick-up ein und ein Mann steigt aus. Er ist sehr amerikanisch, etwas laut, herzlich, um die 50, arbeitet im Vertrieb für Landmaschinen, hat zwei erwachsene Kinder und wir unterhalten uns eine Stunde lang auf dem Weg zu unserem ersten Ziel darüber wer wir so sind. Zwischendurch halten wir an einer Tankstelle, damit ich mir einen miesen, schwarzen Kaffee für $1 holen und er nochmal checken kann, ob wir auch alles dabei haben. Das erste Kennenlernen ist schonmal ganz nett. Sein Gesicht habe ich dennoch immer noch nicht richtig gesehen – er hat die ganze Zeit eine Baseball Cap in Tarnfarben auf. Ich finde das schon mal sehr weird, aber sage natürlich erst mal nichts. Später erfahre ich, dass das mehr oder weniger eine Art Dresscode ist und auch seinen Sinn hat. Etwa einen Kilometer vor dem Ziel halten wir auf der Landstraße/Schotterpiste an, steigen aus, und er zeigt mir die Schrotflinte (eine etwa 15–20 Jahre alte Remington 870 Wingmaster, falls das jemanden interessiert), die  er mir ausborgt. Ich überprüfe die Waffe und die Sicherung, schultere sie, feuere 2 Mal “trocken” – also ohne Patrone im Lauf – und wir fahren weiter. Chris erzählt, dass wir auf das Gelände einer kleinen Farm fahren, wo die Turkeys großen Schaden am getrockneten Heu anrichten, und den Gänsen das Futter wegfressen. Truthähne töten auch gerne mal Hühner und fressen dann Hühnchen. Irgendwie auch gruselig.
Chris hatte die Farm, sowie mehrere andere Locations, vorab ausgekundschaftet. Der Kontakt zu dem Farmer wurde vom “Department of Fish and Wildlife” vermittelt.

Warten bei Sonnenaufgang
Der Blick nach rechts

Ich hatte mir jedenfalls einen für amerikanische Verhältnisse “kleinen” Bauernhof vorgestellt, also so ein paar wenige Quadratkilometer groß. Der Bauernhof ist dann eher wie ein deutscher Bauernhof, also wirklich nicht groß, bis zum nächsten Haus sind es vielleicht 600-700m. Wir stellen das Auto an der Landstraße, etwa 800m vom Farmhaus weg ab und packen unseren Kram ein. Es ist noch schwarze Nacht. Wir müssen vor Einbruch der Dämmerung, so auf halb 7, in einem Versteck sitzen. Wir ziehen uns an, und Chris gibt mir eine Tarnjacke. Ich fühle mich in ihr etwas fehl am Platz.  Ich habe doch meine eigene Jacke dabei, und es ist mit 12–13 Grad nicht wirklich kalt?!  Auf meine Frage hin erklärt Chris, dass Truthähne extrem gut sehen können und beim kleinsten Anzeichen fliehen. Ich kann das später sehr gut beobachten, und die Tarnjacke fühlt sich über den Lauf des Tages hin immer weniger “falsch” an.
Ich lerne von Chris hier Dinge über Truthähne:

  • Truthähne schlafen in Pinien, oben in den Wipfeln, um vor Feinden sicher zu sein. Es kommt auch mal vor, dass man unter einer Pinie drunter sitzt und es dann morgens von oben Truthähne regnet.
  • Truthähne leben in Rudeln von 5–25 Tieren, im Winter können es auch gern mal bis über 100 Tiere sein.

Ich habe also eine Tarnjacke an, Chris gibt mir das ungeladene Gewehr und wir steigen über den Weidezaun auf eine Kuhweide. Keine 100m weiter steht ein kleiner, etwas abgefuckter Schuppen mit einem Boot und Geräten darin, 30m daneben fließt ein Bach. Chris erklärt, dass die Truthähne auf der anderen Seite der Landstraße in den Pinien schlafen und morgens so gegen 7 von den Bäumen runter kommen und dann zwischen Bach und Schuppen vorbei laufen, um zum Farmhaus zu gehen und dort im Stall bei den Kühen ihr Frühstück einzunehmen.

Blick auf den Bach

Wir stellen 2 Truthahn-Attrappen auf. Truthähne sind sehr neugierig und wir hoffen, dass sich die Vögel die Attrappen genauer ansehen werden und wir sie so für einige Minuten in Schussweite haben zu können. Dann setzen wir uns, angelehnt an die Seite des Schuppens – wir hatte beide Schaumstoffkissen dabei – und jetzt wird es wieder seltsam. Chris packt ein Tarnnetz aus und wir decken uns damit zu, außerdem gab er mir eine Sturmhaube in Tarnfarben – little soldier boy! Dabei hab ich doch 2003 den Dienst an der Waffe verweigert! Er meint, dass ich das nicht anziehen müsse, ich denke mir “scheiß drauf, ich geb mir die Experience!” und so verschmelzen wir mit dem Schuppen.

 

 

 

Grau

Wir luden die Waffe noch – natürlich war diese gesichert. Chris fragt mich glaube ich zum 2. oder 3. Mal: “und, magst du das hier tun?” Ich sage “ja”, klar will ich. Zumindest einmal.
Wir warten…es war halb 7, die Sonne fing langsam an aufzugehen. Die Welt ist grau, wie unser Tarnzeug. Wir flüsterten nur noch und dann, um kurz vor 7, dringt ein erster Ruf von der anderen Seite der Straße. Chris packt eine Holzbox aus, mit der man die Rufe von Truthähnen nachahmen kann – was übrigens eine kleine Kunst für sich ist. Rufen müssen wir jedoch nicht. Keine 2 Minuten später regnet es 200m weiter aus einem Baum Truthähne. Und ein Schwarm von etwa 20 Truthähnen – alles Hennen – trippelt über die Straße. Ich bekomme Herzklopfen. So wirklich real fühlt sich das nicht an. Die Vögel kommen auf die Weide, stehen, picken herum, und … verschwinden aus unserem Blickfeld: sie nehmen den direkteren Weg zum Stall, auf der anderen Seite des Schuppens, in unserem Rücken.

Ein toter Truthahn

Chris geht spicken, schleicht an die Ecke und kommt dann schnell und aufgeregt zu mir und flüstert mir ins Ohr: Ich solle vor an die Ecke gehen, mit angelegtem, entsichertem Gewehr, vorsichtig um die Ecke linsen, mir einen Vogel aussuchen und ihn erlegen. Ich kann nicht groß überlegen, stehe total unbeholfen auf, hebe das Gewehr – war das immer schon so schwer? – auf und schleiche vor an die Ecke. Herzrasen. 20 Vögel. 15–20m vor mir. Einer sticht hervor. Chris flüstert: “der ist top, töte ihn!”. Ich ziele, sehe wie der Vogel den Kopf dreht und ich drücke ab. Ein nicht besonders lauter Knall.

Fühlte sich “gar nicht” komisch an.

Vögel fliegen hoch, rennen weg und “meine Henne” überschlägt sich rückwärts und steht auf. Chris sagt “ich fange ihn”, rennt los. Ich sichere das Gewehr und lege es auf den Boden. Der Truthahn läuft 5–6 Meter auf die andere Seite eines Zauns. Chris ist bei dem Vogel, hebt seine Füße fest und die Augen zu. Das Tier ist ganz still, es blutet aus dem Hals und dem Kopf. Ich habe es genau so getroffen, wie man soll, am Kopf damit es gleich tot ist. Wieso ist er nicht tot?! Chris bittet mich ruhig einen großen Stein zu holen. Ich finde schnell einen Brocken und wir schlagen dem Truthahn auf den Kopf. Er ist ist die ganze Zeit still. Er macht die Augen nicht auf. Ich lege meine Hand auf seinen Körper, die Federn sind weich und der Körper warm, die Beine ganz fest und kühl. Ich denke an die Henne. Der Moment ist schön und traurig und ich weiß nicht so recht was ich denken oder spüren soll. Ich bin auch stolz auf den ersten erlegten Truthahn. Es war einfach. Verflucht einfach. Chris klopft mir auf die Schulter und freut sich wie ein kleines Kind, meint dann, dass er nicht versteht, wieso der Vogel nicht sofort tot war, der Schuss sei perfekt gewesen. Die Ladung Schrot war vielleicht zu “leicht”. Vorsorglich tauschen wir die Patronen gegen längere ein. Wir reden darüber wie es ist, zu töten. Das es manchmal leicht und manchmal schwer ist. Und, dass man das nie genau wissen kann. Hier kann man sich also nicht so leicht und sauber raus reden. Ich schaue den Truthahn an. Seine Federn sind hübsch, sein Kopf hässlich, sein Körper außen nicht mehr warm. Wir gehen wieder in Deckung, denn oft kommen Truthähne einfach wieder. Wir rufen mit der Holzbox nach den Vögeln, Chris benutzt auch ein paar Membranen, die man sich in den Mund steckt. Ohne Erfolg. Chris meint, dass das aber okay sei. Das hier ist nicht wirklich jagen. Die Truthähne hier sind ganz auf Menschen und ihre Abläufe konditioniert. Er meint “das ist abschießen, nicht jagen, das ist zu leicht”. Er hat recht. Wirklich leicht war es trotzdem nicht. Aber vielleicht als Vorbereitung ganz gut. Er fragt: “du, wir schauen mal auf einer anderen Weide vorbei, und da zeig ich dir wie man den Truthahn ausnimmt, was meinst du?” Ich muss nicht nachdenken und sage “ja”.
20 Minuten später stehen wir auf einer anderen Weide. Jagen macht hier keinen Sinn, denn Arbeiter bauen einen Unterstand für die Kühe, bei dem Lärm (Truthähne hören sehr gut!) und den vielen Bewegungen kommt kein Vogel zum Fressen auf die Wiese.

Gold

Wir stehen im goldenen Morgenlicht am Heck des Pickups. Es ist gerade 8 Uhr und ich habe meinen ersten Truthahn getötet.
Chris sagt, dass er mir den 1. Vogel ausnimmt und alles erklärt, ich könne ja dann den Nächsten übernehmen. Der Mann ist schon echt zuversichtlich!
Das Ausnehmen eines Truthahns ist nicht schwer, und auch nicht wirklich eklig. Ich habe mir das schwieriger und ekliger vorgestellt. Überwindung kostet es nicht. Ich helfe beim Häuten (man kann auch rupfen, das dauert aber lange und die Haut wird bei wilden Truthähnen nicht so knusprig, weshalb man sie in der Regel nur häutet und sich die Arbeit des Rupfens spart) und auch beim Ausnehmen mit. Das wenige Fett des Truthahns ist ganz goldgelb und fest. Nicht schwabblig. Er riecht fast gar nicht. Es gibt vielleicht einen Eierbecher voll Blut. Ich habe mir das alles stinkig und blutig vorgestellt. Ich greife mit meiner Hand in den Truthahn, um die Eingeweide herauszuholen. Das Tier ist ganz warm. Ich halte inne. Es fühlt sich fast schön an. Warm und feucht. Ich spüre das kleine Herz. Es fühlt sich besonders an. Ich kann es schwer beschreiben, aber ich möchte nicht, dass jetzt etwas Respektloses mit dem Tier passiert. Es ist für mich gestorben, wegen mir…

Grün

Wir fahren zu einer anderen Farm, ich trinke und esse etwas. Ich bin überrascht, dass ich Hunger habe. Mich verwirrt, dass das bisher alles doch etwas surreal wirkte, es war alles so ratz-fatz vorbei. Mein erstes, eigentliches Ziel habe ich erreicht. Ich könnte heim gehen. Aber irgendwie will ich mehr sehen, dass jetzt hat sich zu einfach angefühlt. Auch wenn es das durch den Lebenswillen des Tieres dann ja doch nicht war. Ich sehe schon, das mit dem Jagen ist kompliziert.
Die Fahrt vergeht wie im Flug, wir reden über Gott und die Welt.
Die zweite Farm ist größer, schöner. Hier wohnt Doug, ein Farmer, der nur Menschen bei sich auf dem Gelände jagen lässt, für die das noch etwas Neues ist – ihm “liegt der Nachwuchs am Herzen”. Es gibt Truthähne und Rehe/Hirsche. Wir haben auf der Fahrt, auf dem letzten Kilometer, schon 3 Rudel Turkeys gesehen, das wird hier also gut werden, oder?!

Eine Gruppe Truthähne auf einem Feld.

Wir steigen über einen Zaun, flüstern direkt nur noch und pirschen uns 500m weiter an ein Gebüsch. Wir studieren Truthahnkacke, die Haufen von Hennen sehen anders aus als die von Hähnen. Wieder was gelernt.
Es ist wolkiger als vorher, Chris hat eine Idee wo die Vögel herkommen, wir stellen eine Attrappe auf, setzen uns unter einen Baum und tarnen uns. Wir rufen mit der Holzkiste – ich kann das wohl recht gut, und Vögel antworten und kommen näher. Dabei bleibt es aber für etwa eine Stunde. Wir packen ein, und pirschen und schleichen noch etwa eine weitere Stunde über das Gelände. Von Truthähnen hören und sehen wir nichts mehr. Chris gibt zu, dass er ungeduldig ist, und wir fahren jetzt auf “öffentliches Land”, in ein Naturschutzgebiet, in dem Menschen Jagd auf Truthähne, Rehe, Wildhühner, Elche und Bären machen. Die Fahrt zieht sich, ist für die Unterhaltung aber sehr praktisch.

Waiting…

Ich lerne Chris kennen und auch wo er herkommt. In seiner Familie, Bauern, konnte man sich Fleisch meist nur selbst erjagt leisten – “Fleisch und Kartoffeln mehr gab es nicht” – und seine Eltern bestand darauf, dass er das, was er tötete auch aß. Er bekam als Kind “natürlich” schon ein Gewehr. Es gab ein paar mal Kojote und Eichhörnchen zu essen, bis er aufhörte sie zu jagen. Chris ging auf’s College und lernte dort seine Frau kennen. Klassisch amerikanisch. In den Gesprächen kam auch raus, dass er bei Leibe nicht von einfachem Gemüt ist (Details bleiben aber unter uns) – und von Cheeto kein Fan ist. Heute besitzt er 3 Waffen für die Jagd. Ein Gewehr hat er von seinem Vater geerbt und er hofft es seinem Sohn – der auch ein begeisterter Jäger ist – vererben zu können. Von “concealed carry” hält er nichts. Ich würde ihn als sehr normal und bodenständig bezeichnen. Kein “gun nut” – ein Waffennarr. Man merkt, dass er dieses “Rausgehen” und “Jagen” von klein auf (er)lebt und gelebt hat, und er unglücklich ist, wenn er es nicht tun kann. Den Sommer verbringt er, wenn er Zeit findet, mit Wandern und Fährten lesen und dem Erkunden von Revieren. Angeln tut er interessanter Weise nicht so gern – dafür fehlt im die Geduld, sagt er.

Gold

Auf dem Weg in den öffentlichen Wald sehen wir den ersten Bären – später noch eine Mutter mit ihren zwei Jungen. Irgendwie will es mir nicht in den Kopf, dass ich hier im Wald mit Elchen, Bären und Wölfen bin – Tieren, die ich eigentlich nur aus dem Fernsehen oder dem Zoo kenne.
Wir kommen im Wald an, hören Schüsse von anderen Jägern. Wahrscheinlich stellt da jemand sein Visier ein. Das fühlt sich jetzt komisch an. Ich laufe wo rum, wo geballert wird…

Der Gipfel des Hügels.

Für die Truthähne ist das kein gutes Zeichen, wir erwandern einen kleinen Gipfel. Es ist warm, bestimmt 22, 23 Grad, die Sonne ist ganz schön stark. Die Aussicht oben ist wundervoll. Wir untersuchen Liegeplätze, andere Spuren und Kot von Tieren – Elchkacke ist wie Sägemehl, weil die nur Zweige essen – Truthähne gibt es keine. Nach etwa 1,5h sind wie wieder am Auto. Schön war die Wanderung dennoch. Ich habe viel über Spuren und Forstwirtschaft gelernt.
Wir fahren mit dem Auto bis ans Ende des Waldweges, halten immer wieder an, um nach Vögeln zu hören, aber haben kein Glück. Der Wald ist voll mit goldenem Licht. Auf Lichtungen zelten Menschen. Familien, einzelne, Wanderer und viele Jäger. Wir sehen 2–3 Camps, die Menschen wohl für die “Elk-” oder Bärenjagd für mehrere Tage aufschlagen. Elk ist schlicht “Rotwild”, also bis zu 500kg schwere Hirsche. Mit Bärenjagd komme ich irgendwie nicht klar – ja, man kann die essen, aber dennoch… – ich weiß nicht genau warum ich genau da einen Unterschied mache, darüber denke ich viel nach… vielleicht weil ich die niedlich finde? Oder meine, dass sie geschützt gehören, weil ich immer wieder lese, dass sie bedroht sind – was sie hier in Washington definitiv nicht sind. Hier bin ich nicht konsequent…wieso nur?!
Nach 2 Stunden beschließen wir, es wieder bei der ersten Farm zu versuchen. Dort haben wir kein Glück, treffen aber den exzentrischen und meiner Meinung nach rassistischen Farmer W. (er hat eine Konföderiertenflagge gehisst). Man merkt, sobald man ne Stunde von Seattle weg ist, ja schon, dass Seattle nicht der Rest des Bundesstaates ist. Hier im Osten ist es ein ganz anderes Amerika. Ich sehe auch viele “Bernie” Aufkleber, wie in Seattle. Aber an der Konföderiertenflagge scheint sie niemand zu stören, in Seattle wäre das anders. Chris behält seine Gedanken dazu lieber für sich, meint aber “er ist sehr nett zu mir, aber mit ihm möchte ich mich nicht anlegen müssen”. Ich werde müde und gähne viel. Chris fragt, was ich machen will. Wir überlegen und fahren zu Farm Nummer 2.
Wir sehen sehr viele Truthähne auf dem Weg dort hin, aber alle sind auf privatem Land. Wir wollen schon wieder umdrehen, da sehen wir einen Schwarm auf Dougs Gelände. Wir parken und schleichen wieder über das Feld. Leider hat sich die Gruppe, die wir gesehen haben, schon ordentlich weit auf des Nachbars Feld verdünnisiert. Die ganze Wiese ist golden von der Sonne. Wir beziehen Stellung unter demselben Baum wie am Morgen. Und hören nach 10 Minuten Turkeys!
Wir sind beide aufgeregt, und froh, dass wir nach den Stunden ohne einen Laut jetzt gleich so viele Vögel hören. Chris hat eine Theorie wo die Vögel sind. Wir packen so leise es geht ein. Einer der Vögel sieht die orangene Seite des Sitzkissens von mir und zack!, das Gerufe wird leiser.
Wir schleichen ins Unterholz. Es wird kratzig im Gebüsch. Wir brauchen für 100m bestimmt 20 Minuten und rennen fast beinahe den Truthähnen in die Arme, die sich jedoch dann wieder weiter von uns entfernt. Es ist wieder eine Gruppe Weibchen. Einige sind größer als die vom Morgen. Wir reden nicht, kommunizieren über Zeichensprache und schleichen näher an die Vögel – sie sind noch 100m weg und sehr aufmerksam. Ich lege meinen Rucksack ab um ihn später wieder zu holen. Er ist zu groß und zu schwer. Chris bedeutet mir zu robben und so robbe ich voraus, er hinter mir her, langsam in Richtung der Vögel… ich finde das ja schon albern, irgendwie auch cool und ich weiß auch nicht so genau. Es ist anstrengend und ich schwitze. Soll ich es lassen?! Ich sehe “riesige” Spinnen an Grashalmen, robbe über vertrocknete Rehkacke und stark duftendes, trockenes, hohes Gras… die Rufe der Vögel werden leiser. Wir halten an. Sie haben sich schneller von uns entfernt…und sind in einer Mulde, in einem Wäldchen, 200-300m weiter.
Chris schlägt vor, eine Kuh zu imitieren, weil die Truthähne hier Kühe kennen – und so schleichen wir leise und gleichmäßig die 400m in Richtung des Wäldchens. 30m von den Truthähnen entfernt, sie haben uns noch nicht gesehen, bleiben wir stehen. Ich lege die Waffe an und schleiche näher. Chris sagt “du kannst es probieren, deine Entscheidung, du bist der Boss”, ich schieße und verfehle glorreich, weil ich ein Geräusch mache und die Vögel schon halb abgehoben haben – außerdem war die Entfernung zu groß und Äste im Weg. Ich komme mir dumm vor – den Schuss hätte ich mir sparen können. Ich äußere Bedenken, ob ich nicht doch ein Tier verletzt habe. Wir sprechen über die Entfernung und die Reichweite der Waffe und darüber, dass Truthähne starke Federn haben, die der Schrot selbst aus kurzer Entfernung nur schwer durchdringen kann. Man muss sehr nah dran sein, weniger als 10 Meter. Mich beschäftigt meine Fehlentscheidung ziemlich, auch wenn ich denke, dass alles Schrot schlicht irgendwo auf dem Boden liegt…

Goldene Nachmittagssonne

Wir schleichen weiter, und suchen uns einen Baum – ich bin fertig. Wir schauen in Richtung der Grundstücksgrenze, hier sind die Vögel hin verschwunden. Das Licht scheint golden durch die Zweige des Pinienhaines. Es ist wunderschön. Ich bin ruhig und habe das Gefühl wirklich etwas gearbeitet zu haben. Immerhin haben wir die Vögel jetzt bald 1,5 Stunden die Vögel robbend und schleichend verfolgt.

Rot

Chris fängt nach einiger Zeit mit den Turkey-Rufen an. Und eine Gruppe antwortet, kommt näher. Ich hebe meine Waffe an, sitzend, mit angezogenen Beinen, verschmolzen mit dem Baum. Ich denke darüber nach, dass sich das hier jetzt richtig anfühlt, nach der ganzen Kriecherei. Außerdem ist die Sonne warm. Doch dann verstummen die Tiere. Ich starre 10 Minuten gebannt in die Richtung in der wir sie vermuten. Chris tippt mich von Hinten an und will etwas sagen (er sagt später, dass er aufbrechen wollte), doch ich sehe die Vögel zuerst! Später meint er, dass er bemerkenswert fand, wie schnell ich mit einem Mal angespannt war.
Wie aus dem Nichts laufen 20–25 Tiere, alles Weibchen, aus dem Dickicht vor mich, sie sind vielleicht 10–12 Meter entfernt. Mein Herz klopft lauf. Ich warte und beobachte. Die Tiere haben keine Ahnung, das wir da sind. Ein schönes, großes Tier verlässt die Gruppe ein wenig, das ist gut, denn ich will ja keinen Kollateralschaden verursachen. Ich ziele, drücke ab. Wumm! Vögel fliegen weg, (m)einer bleibt getroffen stehen, ich lade mit der Pumpgun nach und schieße nochmal. Später meint Chris, ich hätte den zweiten Schuss nicht gebraucht. Ich will sicher sein. Wumm. Das Tier fällt um und ist tot. Von Schuss 1 bis Schuss 2 hat es vielleicht 10 Sekunden gedauert, vielleicht weniger.

Auf dem Rückweg

Chris holt den Vogel, freut sich, wir reden, die anderen Vögel sind weg. Er geht unsere Sachen holen – wir haben weitere Munition mit meinem Rucksack zurück gelassen. Ich sitze an den Baum gelehnt im goldenen Licht und streiche über die Federn des zweiten Truthahns, den ich getötet habe. Einige Federn an der Schulter des Vogels glänzen – meine Fingerkuppen färben sich rot. Das war nicht leicht. Es war anstrengend. Ich habe bewusster gehandelt als heute morgen. Nicht so überfordert. Auch wenn das den heutigen Morgen nicht ganz trifft. Ich bin etwas stolz. Was sich wieder komisch anfühlt. Auch die Camouflage-Jacke ist nicht komisch. Darüber will ich nachdenken.
Etwa eine Stunde später stehen wir am Truck, die Vögel kamen nicht nochmal. Ich nehme den Truthahn selbst aus – nur einmal bin ich unsicher und lasse mir nochmal zeigen wie man einen Schnitt richtig ansetzt.
Wir fahren zurück zum Hotel. Es gibt viel zu verarbeiten. Chris lädt mich ein, wieder mit ihm jagen zu gehen.

Was bleibt?

Wir haben 2 Herzen, zwei Lebern und zwei Truthähne mit nach Hause genommen, die ich dann weiter geputzt habe. Ich habe Federn und die Schwanzfedern behalten, die ich trocknen möchte.
Doctor Evil fand die Truthahnherzen lecker und Cori hat aus den Lebern Pastete gekocht. Einer der Vögel ist als Ganzes eingefroren, den zweiten habe ich zerteilt. Die Brust ist eingefroren – die gibt es mal zu Salat oder so –, der Körper und ein Bein auch, für eine Suppe. Aus den anderen Gliedmaßen hat Corinna einen sehr leckeren Eintopf gekocht. Er ist besonders. Wie auch der Tag besonders war.
Es war anstrengend, emotional, verwirrend, befriedigend und auch gewalttätig: alles andere als leicht. Und ich war für zwei Augenblicke Gott. Mir macht das ein wenig Angst und unendlichen Respekt. Ehrfürchtig irgendwie. Ganz rau und offen.
Ich würde sagen, dass es ein schöner Tag und ein schönes Erlebnis war, dass ich wiederholen möchte. Als besonderes Erlebnis. Und vielleicht esse ich gar wieder weniger Fleisch dadurch, aus Ehrfurcht.

3 thoughts on ““Komm, wir spielen Gott!” oder wie ich für mein Essen tötete.

  1. Dani says:

    Hui.
    Das hat mich richtig aufgewühlt beim mitlesen! Eine krasse Erfahrung, Respekt, dass du das gemacht hast. Ich glaube, ich könnte das nicht und frage mich, ob das was mit feige sein zu tun hat… Liebste Grüße aus Stuggi! *Drück euch*

    1. benny says:

      Hey,
      Mich freut, dass der Post eine Wirkung hatte. Ich hoffe, dass er nicht zu krass war. Wenn ja, sag bitte Bescheid, weil ich dann eine Trigger Warning dazu schreibe.
      Ich denke, dass das mit einer der Gründe ist, wieso ich Jagen glaube ich gut finde. Die Tatsache, dass man nicht einen Auftragskiller besorgt, sondern selbst zu Mörder wird. Klar dramatisiere ich da jetzt, aber letzten Endes ist Fleischkonsum ja nichts anderes als das Töten eines Lebewesens.
      Ich kann werde jedenfalls wieder angeln und Truthähne jagen. Ich möchte auch – wenn möglich – einmal im Frühling auf Jagd nach Rehen gehen. Ich denke nämlich, dass Rehe schon nochmal anders sind, durch ihre Größe, weil sie Säugetiere sind und definitiv “niedlich” sind.
      Ich werde dazu wieder schreiben. Vielleicht auch mal ein wenig über die “Sache” mit den Waffen…
      Drück zurück! <3

      1. Dani says:

        Kein Problem.
        Wenn ich alles nicht lesen würde, was mich aufwühlt, dann bliebe ich ja ein schrecklicher Gefühlszombie. 😉 Ich fand deinen Bericht einfach sehr ehrlich und auch deine Herangehensweise. Ich bescheiß mich in dem Sinne auch noch selbst, dass ich, wenn ich Fleisch esse, eben Wild esse – und das ethischer finde als normalen Fleischkonsum. Das stimmt zwar insofern als das Tier nicht für mich gezüchtet wurde und ein schönes, wildes Leben gelebt hat, bis es stirbt. Aber eben, ich engagiere gewissermaßen einen Auftragsmörder, dessen Beute ich dann esse. Da ist der selbst geschossene Truthahn von dir 1.000 ehrlicher.

        Ich glaube ich würde im wahrsten Sinne des Wortes die Flinte ins Korn werden, müsste ich ein Tier selbst erlegen.
        Aber dann stellt sich wieder die Frage, warum ich dann überhaupt noch Fleisch esse. Die logische Schlussfolgerung müsste ja sein, gar keines mehr zu essen. “If it’s too hard for your eyes, why isn’t it too hard for your stomach?” Mal sehen, ob ich es schaffe, grade jetzt wenn die Winterfeiertage nahen und viele Restaurantbesuche anstehen… 😉

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