Ich laufe durch den Regen, zur Arbeit, so wie ich das regelmäßig mache, sollte ich den Bus verpasst haben oder gerade keiner Fahren (hier auf dem Dorf fährt der Bus zwar direkt vor meiner Haustüre, allerdings nur ein Mal pro Stunde). Ich habe einen großen Regenschirm dabei, Musik auf den Ohren und der Regen trommelt leise auf den Schirm – so, dass ich die Tropfen in der Hand, die den Schirm hält, spüren kann. Der Wind weht mir meine kleine Nerv-Strähne dauernd in’s Gesicht, irgend ein EBM-Song bestimmt den Takt, in dem ich meine Füße auf den nassen Asphalt setze. Ich habe es nicht eilig, marschiere so einfach vor mich hin. Ich habe ausgeschlafen, bin mit Nina im Arm aufgewacht und habe mit ihr noch eine Tasse Kaffee getrunken bevor ich gegangen bin. Alles bestens also. Sehr entspannt. So, wie ich es mag.
Ich laufe nach rechts, über die Straße, kurz nach der Bushaltestelle beim Schulzentrum, biege weiter rechts ab, dort, wo die Seitenstraße eine Linkskurve macht, nach links oben steil ansteigt bis sie ab dem Pietisten-Gemeindezentrum wieder flacher und gerade wird. Vor mir, auf einem der großen Granitblöcke am Straßenrand, sitzt ein Jugendlicher, die Kapuze seines Kapus über dem Kopf, ein Mädchen mit Kopftuch steht eng ihn geschmiegt vor ihm. Küsse. Sie scheinen meine Schritte gehört zu haben und erschrecken so sehr, dass ich beinahe selbst ein wenig erschrecke. Warum? Wer hätte es sehen können? Geht einer von ihnen fremd? Dürfen sie sich aus anderen Gründen nicht zusammen zeigen? Ich weiß es nicht. Sie sehen beide in meine Richtung, irgendwie erleichtert, aber auch traurig. Sie drückt sich an ihn.
Wie froh ich bin, dass ich meine Liebe offen zeige, offen zeigen kann, darf. Das das nicht selbstverständlich ist, wird mir beim weiteren Weg zur Bahn bewusst und bin dankbar. Die Bahnfahrt bis zur Arbeit, hänge ich dem Gedanken nach. Ich denke an Paare, die sich aufgrund ihrer Familien, ihrer Religion, oder ihrer Sexualität nicht offen zueinander bekennen “dürfen”. Wie würde ich handeln?